Für mich geht es bei der Frage, ob Gauck ein geeigneter Bundespräsident sein wird oder nicht, gar nicht mal unbedingt um die Frage, was er z.B. konkret über Stuttgart 21 oder über Sarrazins Buch denkt (auch wenn natürlich eine Aussage, politischen Aktivismus seiner Bürger als "unglaublich albern" zu bezeichnen, für ein Staatsoberhaupt meiner Meinung nach völlig unangemessen ist); es geht mir ganz einfach darum, was diese Kandidatur in diesem Land für ein Zeichen setzt. Für mich ist diese Nominierung zunächst einmal ein sehr deutlicher Beleg für diese These:
Dass die erste Gauck-Nominierung vor zwei Jahren vorrangig erfolgte, weil SPD und Grüne der Linkspartei signalisieren wollten "Nur weil wir zufällig auch gerade Opposition sind, lassen wir euch trotzdem noch lange nicht mitspielen" und/oder weil sie die Linken auf ihre so genannte "Demokratiefähigkeit" hin testen wollten, dürfte wohl klar sein. Die Linke hat von Anfang an erklärt, dass sie Gauck niemals wählen wird, was selbstverständlich ihr gutes Recht ist. Wie man daraus "Demokratiefeindlichkeit" ablesen kann, ist mir bis heute ein Rätsel. Noch schlimmer ist für mich aber, dass nicht nur die schwarz-gelbe Regierung es gar nicht erst für nötig hält, mit den Linken zu sprechen, sondern dass auch SPD und Grüne, die mit den Linken zusammen heute übrigens sogar noch eine klarere Mehrheit in der Bundesversammlung hätten als noch 2010, sie nicht nur ignorieren, sondern auch noch ein zweites Mal den Unwählbaren vorsetzen (und das sicher auch wieder mit der mitgedachten Drohung "Wählt den Kandidaten der nationalen Einheitsfront, sonst seid ihr Feinde der Demokratie"). Ich finde es ja prinzipiell gut, wenn Regierung und Opposition sich in einer solchen Frage auch mal zusammensetzen und gemeinsam einen Konsens zu finden suchen, aber dann doch bitte mit allen demokratischen Parteien!
Von einem Bundespräsidenten erwarte ich, dass er das Zeug dazu hat, von allen prinzipiell demokratischen Kräften - auch jenen, deren Wunschkandidat er nicht war, die ihn nicht frenetisch bejubeln würden und die nicht jeder seiner Äußerungen zustimmen können - zumindest respektiert und geachtet zu werden; und bei Gauck sehe ich diese Eigenschaft nicht. Ich gestehe Herrn Gauck ja zu, dass er in der DDR sehr gelitten hat und dort von frühester Jugend an fundamental gegen jede Autorität agiert hat (wobei es ja auch hier kontroverse Debatten gibt, ob er wirklich der große Widerständler war, als der er sich gibt; die ich aber ausdrücklich nicht beurteilen kann und möchte) - nur, mein Gott, die DDR ist seit mehr als 20 Jahren Geschichte, und dieser Mann macht auf mich immer noch den Eindruck, als kenne er gar kein anderes Thema. Für soziale Belange, überhaupt für aktuelle politische Fragen scheint er sich hingegen wenig zu interessieren. Als Bundespräsident wäre er das Staatsoberhaupt aller Deutschen, mit den unterschiedlichsten Biografien und Lebensentwürfen, und müsste die Fähigkeit und den Willen mitbringen, für sie alle zu sprechen und im Zweifelsfall für ihre Interessen einzutreten - das gilt für den strammen CSU-Wähler aus Oberammergau ebenso wie für den Althippie aus dem Hamburger Schanzenviertel oder für den ehemaligen Stasioffizier aus Eisenhüttenstadt. Bei Konflikten zwischen einzelnen gesellschaftlichen Gruppen sollte der Bundespräsident schlichtend und mäßigend eingreifen können - bei Gauck sehe ich da eher die Gefahr, dass er (angesichts seiner bisherigen Äußerungen) noch zusätzlich Öl ins Feuer gießen würde. Zusammenfassend könnte man sagen: Ein Bundespräsident sollte versöhnen - Gauck wirkt auf mich weniger als Versöhner, sondern mehr als Spalter.
Auf jeden Fall finde ich es bemerkenswert, dass offenbar in allen Parteien, die ihn nominiert haben, von der CSU bis zu den Grünen, sich durchaus auch kritische Stimmen zu Gauck regen (darunter auch durchaus prominente Köpfe wie z.B. Ströbele) und dass sich bei Twitter (und mittlerweile auch bei Facebook? dort hab ich leider noch nichts mitbekommen) bereits Gruppen nach dem Motto "NotMyPresident" gebildet haben, wie ich es bei den letzten Präsidentenwahlen so nicht erlebt habe. Besonders gespannt bin ich ja darauf, welchen Kandidaten die Linkspartei aus dem Hut zaubern wird (sie will ihn übermorgen vorstellen), und auch darauf, wie sich die Piraten verhalten werden. Irgendwie sagt mir eine innere Stimme, dass in Sachen Gauck noch lange nicht alle Messen gesungen sind .....