Du meinst also, unsere Eltern hätten vor 30 Jahren auch mehr Musik von 1958 als von 1988 gekannt?!
Das kann ich mir ganz ehrlich gesagt gaaaar nicht vorstellen. Ich denke immer schon, eigentlich schon so lange ich ein biiiisschen Ahnung von Musikgeschichte habe, dass unserer Generation die Musik der eigenen Elterngeneration doch deutlich näher steht, als unseren Eltern die Musik ihrer Eltern stand. Ich mag vieles, was ich aus den 80ern, 70ern, zum Teil auch noch 60ern kenne – während die Musik der 50er (von der noch älteren ganz zu schweigen) demgegenüber doch unsäglich bieder und altbacken und langweilig rüberkommt. Und meinen Eltern wäre es sicher nicht eingefallen, die gleiche Musik wie ihre Eltern zu mögen. Die großen Stars der 50er waren in Deutschland Freddy Quinn und Caterina Valente – da hab ich eigentlich bei meinen Eltern noch nie irgendeinen Bezug zu denen (oder anderen Stars jener Generation) bemerkt ....
Wie auch immer habe ich nun mal tatsächlich noch in alle Songs der Doppelliste aus dem Tweet (so weit sie mir nicht schon vom Titel her bekannt waren) zumindest mal reingehört und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:
- Von 1988 kenne ich 16 Songs mit Sicherheit (und hatte bei manchen in der Tat einen deutlichen Aha-Effekt ... und dabei nicht zuletzt auch, und ich zahle dabei gerne 50 Cent in die Wortspielkasse , bei "Stay on these roads", bei dem ich mich ja wirklich frage, wie ich denn bitte nicht wissen konnte, dass das Lied so heißt?! ); bei weiteren 5 Songs aus der 1988-er Liste habe ich (mit unterschiedlicher Intensität) zumindest den Eindruck "hmmm, hab ich vermutlich schon mal gehört"; bei vieren klingelte überhaupt nix .... und joa, alles in allem finde ich mein eigenes Ergebnis in diesem Fall durchaus zufriedenstellend
- Von 2018 kenne ich 10 Songs sicher (und Aha-Effekte gab es natürlich auch hier ... z.B. "Havana" hätte ich natürlich mit Sicherheit auch ohne Reinhören kennen sollen), 3 weitere kommen mir bekannt vor, die übrigen 12 sagen mir so erst mal gar nix .... also kenne ich immer noch grad mal Hälfte
Und ja, natürlich mag etwas dran sein, was ihr sagt, dass es also heute insgesamt schwerer ist, einen Überblick über aktuelle Musik zu gewinnen, als in den Zeiten, wo wir alle noch Musikfernsehen geschaut und Bravo gelesen haben. Ich gebe ja auch gerne zu (bzw. weiß es der eine oder andere ja vermutlich), dass ich selber während der längsten Zeit meines Aufwuchses der popkulturfernste Teenager der Welt war; ich hatte nur eine seeeehr vage Vorstellung von VIVA/MTV und was dort so läuft, und eine Bravo habe ich bis zum heutigen Tag vielleicht 2-3x in meinem Leben in der Hand gehalten. Etwa im Herbst des Jahres 2004 fing sich das aber dann binnen kurzer Zeit komplett an zu wandeln; und ich verbrachte auf einmal ganze Nächte vor dem Fernseher und hab mir stundenlang Videos auf den genannten Musiksendern reingezogen. Während dieser Zeit, auch wenn es trotz allem eine relativ kurze Phase war, kannte ich wirklich so ziemlich alles, was so in den Charts war, und aus den Jahrescharts von 2005 würde ich vermutlich auch heute noch so gut wie jedes Lied erkennen und das zugehörige Musikvideo beschreiben können. Am meisten gefreut habe ich mich damals übrigens natürlich, wenn eine gewisse junge Band aus Gießen lief....
Nur: Das sind ja eben meine subjektiven Erfahrungen, aber welche Allgemeingültigkeit können wir daraus ableiten? Ich kann mir jedenfalls trotz alledem noch nicht so ganz vorstellen, dass die Menschen, die 2004/05 oder auch 2018/19 geboren wurden, im Alter von 30 Jahren besonders viele Songs aus der Zeit ihrer Geburt kennen werden. Werden unsere Kinder mal schwärmerisch sagen "Ach ja, 2018, das war die Zeit, in der Capital Bra acht Nummer-eins-Hits in einem Jahr hatte – wow, die Zeit hätte ich ja gerne (bewusst) miterlebt?!". Wie gesagt, ich kann es mir schwer vorstellen, aber wenn ich mich dabei irren sollte, werde ich meinen Irrtum natürlich in 30 Jahren gern eingestehen. Was mir beim Überall-mal-Reinhören jedenfalls auch deutlich aufgefallen ist: Bei den Songs von 1988 habe ich auch bei denen, die mir unbekannt waren, in den allermeisten Fällen sehr viel länger und bereitwilliger zugehört als bei denen von 2018