Die Lektüre des Buches „Wachstumsschmerz“ hat mich dazu veranlasst, diesen Thread zu starten. Ich hoffe, der Titel klingt nicht soooo abschreckend und es muss auch gar nicht zwangsläufig persönlich werden, aber ich würde gern das Thema des immer später werdenden Erwachsenwerdens und der „Quarterlife“- und „Thirdlife-“crises aufgreifen
Mit quarter-life und third-life-crisis ist gemeint, dass man schon so mit 25, 30 eine erste Sinnkrise hat, das erste Mal Bilanz zieht bzw. an einem Scheideweg steht und sich fragt, ob der bisher eingeschlagene Weg gut war oder ob man nicht doch nochmal umkehren will (man hat sich ja noch nicht so lang auf den Weg gemacht) und was ganz Neues machen will.
Dass man also „erst“ mit 25, 30 eine erste größere Sinnkrise durchläuft, zeigt ja schon, dass man heutzutage immer später erwachsen wird bzw. durch die vielfältigen Lebensentwürfe das Erwachsenwerden/ -sein immer später anfängt. Früher übernahm man halt (gaaanz vereinfacht gesagt) entweder die Arbeit/ den Hof/ das Haus des Vaters als Sohn, als Tochter heiratete man früh woanders ein und bekam dann Kinder, und selbst in den letzten Jahrzehnten, wo die verkrusteten Strukturen am Aufweichen waren, schien alles einfacher und „vorgezeichneter“ zu sein, die Möglichkeiten nicht gar so mannigfaltig wie heutzutage.
In dem Buch „Wachstumsschmerz“ jedenfalls geht es um ne Frau Anfang 30, die mit ihrem Job nur so halb zufrieden ist (und nebenbei in ner Agentur ne Kartei hat, um vielleicht doch noch Schauspielerin/ Model zu werden), die mit ihrem Freund nach ewig langem Rumgedruckse zusammenzieht und für die das dann doch nicht das richtige ist und sie ständig mit sich am Hadern ist....
Was sagt ihr nun so dazu, sei es aus eigenem Empfinden oder allgemein: ist es heute schwieriger, erwachsen zu werden/ zu sein? Seid ihr erwachsen? Was heißt das überhaupt? Und gibt es diese quarter-/ third-/ was weiß ich/-crises überhaupt?
Also ich muss sagen (dabei beziehe ich mich nochmals aufs Buch), dass einem natürlich Situationen oder Gedankengänge bekannt vorkommen, aber insgesamt muss ich sagen, dass dieses „hach wir sind ja sooo jung und haben alles vor uns, wissen nur nicht, was davon wir wollen“ doch ein ziemliches Luxusproblem ist. Zum einen natürlich, wenn man unsre Jugend/ junges Erwachsensein mit dem von Leuten vergleicht, die beispielsweise während des Kriegs erwachsen werden mussten oder in Ländern, in denen es den Leuten nicht so gut geht wie uns. Aber (auch wenn ich jetzt natürlich die Eindrücke des Buchs frisch vor mir habe und das vielleicht unfair ist) ich finde auch, dass dieses stete Suchen, dieses bewusste Empfinden, dass man alles noch ändern kann und man doch bitte um Himmels Willen keine Entscheidungen treffen muss, ein stückweit Lifestyle geworden ist und sich manche richtiggehend darin suhlen. Hin und wieder geht damit auch ein gewisse Egozentrik her, also dass man allen Leuten, die nicht ständig über ihre Orientierungslosigkeit jammern, unterstellt, in ihrem Leben wäre alles toll und man würde zu 100% fest im Sattel sitzen.
Ich finde, dass „Erwachsensein“ zumindest für Leute in unsrem Alter so ein anzustrebender Zustand ist wie „Gesundsein“, also dass man es wohl nie zu 100% sein kann, sondern sich dem nur annähern kann/ sollte. Grundsätzlich finde ich, ist man erwachsen, wenn man die Freiheiten, die man so mit 18, 19, 20 bekommt (Auto fahren, Schule/ Ausbildung fertig, ….), in Anspruch nimmt und dann aber auch Verantwortung für sein Tun und ggf. für andre übernimmt (rein soziologisch ist die Definition vom Erwachsensein wohl die finanzielle UND emotionale Unabhängigkeit vom Elternhaus, auch das trifft es natürlich ganz gut).
Ich seh mich schon als recht erwachsen an, was so Finanzen, Haushaltsführung, … angeht. Wenn ich andrerseits dran denke, dass ich bald Kinder haben sollte, würde ich mir auch denken "Was, jetzt schon?!"
Allerdings hat sich früher auch niemand vorher ewig Gedanken gemacht, ob denn nun Kinder in den Lebensentwurf passen, heutzutage wird ja auch manchmal dieses „den richtigen Zeitpunkt finden“ richtiggehend zelebriert. Wenn man nicht grad 14 ist und noch keinen Schulabschluss hat, denke ich, dass man in die Elternrolle zu jeder Zeit gut reinwachsen kann und es den richtigen Zeitpunkt eh nie gibt.
Also unterm Strich: ich denke, es ist zu einem gewissen Punkt schon schwieriger geworden, erwachsen zu werden und fest im Leben zu stehen, weil die Möglichkeiten größer sind bzw. uns dieses suggeriert wird (das fängt ja schon an, wenn man einfach nen Kaffee haben will und da 1000 Sorten dastehen oder man bei Subway fast schon einem Interview unterzogen wird, bis man dann sein Essen hat – das mein ich ernst!). Mir erschließt sich nur nicht so ganz, wieso manche dann so in der Entscheidungslosigkeit verharren. Bevor ich mir überlege, ob ich nun irgendso einen hippen Kaffee mit oder ohne Schaum, mit oder ohne irgendeinem Zusatz und sonst was will, tut es doch manchmal auch ein stinknormaler Kaffee, der schmeckt auch und wärmt ggf von innen....oder um das Sprichwort zu bemühen: der Spatz in der Hand....
Beispielsweise glaube ich nicht, dass es den perfekten Beruf bzw. genauer die perfekte Arbeitsstelle gibt, aber irgendwann sollte man wohl auch mal ganz pragmatisch sagen, dass es einem doch unterm Strich gut geht (oder es eben wirklich ändern) und akzeptieren, wie es (geworden) ist.
Ich denke, im Leben ist man oft Veränderungen unterworfen und hat natürlich mitunter ganz individuelle Herausforderungen und Krisen zu bewältigen, das Problem ist wohl heutzutage eher, dass man zumeist auf das schielt, was einem fehlt, nicht auf das, was man schon hat. Oder eben auf das, was andre haben, weil uns eben suggeriert wird, dass man doch eigentlich alles haben kann.
Naja und aus diesen (anstehenden) Veränderungen heraus ergeben sich dann natürlich auch mögliche Umbrüche/ Sinnkrisen, aber ich denke nicht, dass jeder eine quarter-/third-/midlife-/sonstwas-crisis hat, es sei denn, er möchte eine haben....