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Thema: Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie

  1. #1
    Malibun
    Gast / Ehemaliges Mitglied

    Standard Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie

    Zitat Zitat von Malibun Beitrag anzeigen
    Aber ich glaub, es ist vielleicht wirklich mal an der Zeit, dass ich meine schon länger vorhandene Idee zu einem Thread "Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie" umsetze
    Gesagt getan


    Zu den Zwangsmaßnahmen, die in der Psychiatrie eingesetzt werden können, gehören: Zwangseinweisungen, Fixierungen und Zwangsmedikation.
    Zwangseinweisungen können nur im Fall von akuter Fremd- oder Eigengefährdung ausgesprochen werden. Also in der Regel sind das akut Suizidgefährdete, Menschen die ihm Wahn andere Menschen angreifen/umbringen wollen, und/oder akut psychotische Menschen. Die Polizei kann einen 24-Stunden-Beschluss aussprechen, spätestens nach Ablauf dieser Zeit muss ein Richter hinzugezogen werden, der auf Grundlage der Meinung der Ärzte, urteilt ob die Person noch länger zwangsweiße in der Psychiatrie bleiben muss und wenn ja, wie lange. Für Fixierungen und Zwangsmedikationen gibt es auch gesetzliche Regelungen, für eine Fixierung z.B. brauchts auch den Beschluss der Polizei (wobei im akuten Notfall erstmal fixiert wird und danach sich um Beschlüsse gekümmert wird). Genauere Infos findet ihr in den PsychKG (= Psychisch-Kranken-Gesetze). Bei Wiki gibts auch nen Artikel drüber.
    Eine Fixierung ist übrigens (für die, dies nicht wissen) das Festbinden der Extremitäten eines Menschens an ein Bett. Er ist dann also quasi an Armen und Beinen ans Bett gefesselt.
    Zwangsmedikationen sind Spritzen oder andere Medikamente, die Gegen den Willen des Patienten ihm verabreicht werden.

    Was haltet ihr davon? Sind Zwangsmaßnahmen freiheitsberaubend, menschenunwürdige, traumatisierende Regelungen oder notwendige Maßnahmen?

    Ich persönlich würde sagen: beides. Wenn ein Mensch gegen seinen Willen eingesperrt wird (der dazu noch nicht mal eine Straftat begangen hat), ist das natürlich freiheitsberaubend. Und von mehreren Menschen grob angefasst, festgehalten und mit Gewalt an ein Bett gebunden zu werden (plus ggf. gewaltsame Verabreichung eines Medikaments, das man nicht will) kann durchaus traumatisierend sein. Ich hab ein paar Mal in Foren von/für (ehemalige) Psychiatriepatienten gelesen und da waren durchaus ein paar, die ganz grausaume Erfahrungen gemacht haben: Sie wurden tagelang (eine sogar wochenlang) am Stück fixiert ohne richtigen Grund, nur aus Schikane, und hatten noch nicht mal eine richtige Sitzwache, wenn sie Glück hatten, hat alle paar Stunden mal jemand nach ihnen geguckt. Eigentlich ist bei Fixierungen eine Sitzwache/1:1-Betreuung Pflicht, d.h. es muss ein Pfleger ständig nach dem Patient gucken (oder zumindest in sehr regelmäßigen Abständen), um sicher zu gehen ob es ihm gut geht, ob er noch lebt, oder auch im Falle von menschlichen Bedürfnissen. Ich hab mich auch mal persönlich mit einem (sehr kleinen, schmächtigen) Mädchen unterhalten, die in einer Klinik war, wo sie eines Tages bisschen lauter wurde. Sie war zwar etwas lauter/aggressiver, aber nicht gefährlich oder körperlich angreifend, dennoch wurde sie vier Tage lang am Stück fixiert.
    ABER: In den geschlossenen Stationen, wo ich war, wurden Zwangsmaßnahmen wirklich nur als allerletztes Notfallmittel benutzt. Ein Pfleger meinte mal, dass er prinzipiell keine Fixierungen mache. In seiner Ausbildung mussten sich die Pflegeschüler auch selbst gegenseitig mal fixieren um am eigenen Leib zu erfahren, wie sich das anfühlt. Er fand das ganz furchtbar, und möchte das keinem anderen Menschen antun.

    Zwangsmaßnahmen sind freiheitsberaubend, und potentiell traumatisierend. Kann und sollte man sie daher einfach so abschaffen? Jein.
    Es gibt Situationen, da gibt es keine wirkliche Alternative. Was soll ein Pfleger machen, wenn ein Patient komplett ausrastet, aggressiv wird und andere Mitpatienten oder Mitarbeiter körperlich massiv angreift? Sowas kann ja bei bestimmten Erkrankungen durchaus schon mal vorkommen, aber da kann man ja auch nicht einfach zuschauen wie er andere (oder sich selbst) verletzt und Zeit um auf die Polizei zu warten, ist meist auch nicht. Daher bleibt manchmal einfach nur der Griff zur Spritze oder der Fixierung, auch wenn es mir wesentlich lieber es gebe andere Alternativen (wobei mir bisher noch keine eingefallen ist).

    Und zur Zwangseinweisung: Ich habe Menschen gesehen, die hoch psychotisch in die Psychiatrie gekommen sind. Sie hatten massive Wahnvorstellungen, haben Stimmen gehört, haben extreme Qualen erlebt, haben gelitten, geschrien und standen komplett neben sich. Es war kein schöner Zustand, schon alleine das mit an zu sehen, war (und das ist noch untertrieben) ziemlich heftig. Die meisten, wenn nicht alle, von ihnen waren zwangsweiße da.
    Nach einer gewissen Zeit in der Psychiatrie (schwankte zwsichen mehreren Tagen und Monaten) waren die meisten wieder komplett "normal": Sie hatten keine psychotischen Symptome mehr, sie waren ruhige, sympathische Mitmenschen, es gingen ihnen gut, man konnte sich gut mit ihnen unterhalten, und man wäre niie auf die Idee gekommen, dass diese Menschen mal so massiv psychisch krank waren. Der Unterschied zwischen wie die Leute bei der Aufnahme und wie bei Entlassung waren, war extrem. Der Aufenthalt in der Psychiatrie hatte ihre Lebensqualität enorm gesteigert, wenn nicht sogar Leben gerettet.
    Da war z.B. eine psychotische Patientin, die den ganzen Tag nur herzzereißend, über die ganze Station hörbar, schrie "Ich will nach Hause, ich will nach Hause". Das war echt so mit das heftigste was ich an Schreien, jemals gehört habe - ging durch Mark und Bein. Und wenn sie nicht gerade schrie, kam sie auf Patienten (inkl myself) und teilweise auch Mitarbeiter zu und fragte "wieso tut ihr mir das an?". Wenn man zurück fragt, was sie denn meinen würde, hieß es nur "das weißt du/wisst ihr ganz genau". War nicht einfach damit umzugehen. Und oft hab ich mir gedacht "wenn jemand so unbedingt hier weg will, dann darf man den doch eigentlich nicht festhalten, das geht doch nicht". Einige Tage/Wochen später war die Frau wie ausgewechselt: Sie war ruhig, freundlich, sympathisch, man konnte guckt mit ihr reden und kochen/backen, und sie war wieder ganz "normal" und "gesund". Sie war ein ganz anderer Mensch. Hätte man ihr dieses neue Stück Lebensqualität wirklich enthalten sollen, auch wenn das zu dem Zeitpunkt ihr Wunsch war?

    Und, ist die Situation anders, wenn er Mensch nicht psychotisch, sondern mehr oder weniger bei "klarem Verstand", aber suizidgefährdet ist? Sind Zwangsmaßnahmen in dem Fall noch gerechtfertigt?
    Bei der Beantwortung der Frage tue ich mir schwerer als wenns um psychotische Patienten geht. Geht jetzt auch schon ein bisschen in den Suizidthread mit rein und ich hab da auch schon was dazu gepostet, aber kurz gefasst: Ich glaube schon daran, dass jeder Mensch irgendwie das Recht hat frei über seinen Körper und sein Leben/sterben zu entscheiden. Andererseits sind das halt oft nicht wirklich "freie" Entscheidungen, sondern von Krankheiten getrübt. Gibt ja durchaus einige Menschen, die mal suizidal waren und später sagen, dass sie doch froh sind noch am Leben zu sein. Anderseits gibts auch solche die seit Jahrzehnten leiden und bei denen keine Behandlung anschlägt. Sollte allerdings jetzt jemand mir sehr nahestehendes akut suizidal werden, würde ich den im Zweifelsfall auch gegen seinen Willen einweisen (damit wurde mir auch schon mal gedroht, und ich habe die Entscheidung der Person nachvollziehen und verstehen können).

    Ich versteh schon, wieso viele Menschen Angst vor einer Zwangseinweisung haben, oder sich sogar in ihre Patientenverfügung vermerken lassen, dass sie keine Zwangsbehandlungen möchten. Zwangsmaßnahmen bedeuten Kontrollverlust: Ich habe in dem Moment in dem ich zwangsweiße behandelt werde, nicht mehr die volle Kontrolle über meinen Körper und meinen Aufenthaltsort - andere Menschen entscheiden darüber, was mit mir geschieht. Kontrolle zu verlieren, ist für viele Menschen eine ganz furchtbare, beängstigende Vorstellung.
    Das war auch der Grund, wieso ich immer aufgepasst hab, dass ich freiwillig in die Klinik komme (auch wenns das eine Mal nur so semi-freiwillig war, als ich vor die Wahl gestellt wurde der Überweisung in die Psychiatrie zu zu stimmen oder ansonsten zwangsweiße dorthin verlegt würde). Ich will bestimmen, was mit mir passiert, wo ich bin, wer mich behandelt, und was für Medikamente ich nehme. Ich höre zwar auf die Ärzte und ihre Empfehlungen, aber ich möchte (z.B. auch über die Medikamente die ich nehme/genommen habe) gut informiert sein und im Zweifelsfall das letzte Wort in meiner Behandlung haben. Nicht jedem Arzt hat das gepasst, einigen sind ja-und-amen-Sager lieber, aber so jemand bin ich halt nicht.
    Wie aber auch schon im Thread zur Patientenverfügung geschrieben: Ich würde trotzdem nicht eintragen lassen, dass ich Zwangsbehandlungen ablehne. Jeder kann in die Situation kommen, eine Psychose zu entwickeln, und da sind Zwangsbehandlungen halt nun mal oft sinnvoll.

    Was ich aber wichtig fände: Bessere Qualitätskontrollen in Psychiatrien. Es darf keine einzige Psychiatrie mehr geben, in der Fixierungen & Co willkürlich eingesetzt werden. Manche (bei weitem nicht alle!) Menschen nutzen die Machtposition, die sie als Mitarbeiter in einer Psychiatrie haben, aus: Ein Psychiatriepatient (gerade auf der Geschlossenen) kann sich meistens nicht wehren, und im Zweifelsfall würde ihm wahrscheinlich auch nicht viel Glauben geschenkt werden.
    Ich habe, zwar nicht im direkten Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen sondern bei anderen Themen, schon so viel Mist in Psychiatrien gesehen und miterlebt, ich könnte Bücher mit fühlen. Das geht einfach nicht, psychisch Kranke sind meistens eh in einer verletzlichen Situation, und da gehen machtgeile, kaltherzige Pfleger, Therapeuten und Ärzte einfach gar nicht. Manch ein Mitarbeiter hätte manch einen Patienten beinahe in den Suizid getrieben (oder hat es sogar, wenn auch zum Glück alle Versuche die ich mitbekommen habe, überlebt wurden). Im deutschen psychiatrischen System läuft noch einiges schief, und es müsste einiges verbessert werden.
    Wobei es natürlich auch ganz liebe, kompetente, einfühlsame Psychiatriemitarbeiter gibt. Hab auch sehr gute Erfahrungen gemacht. Gibt beides.

    Und: Die Angst vor ungerechtfertigten Zwangseinwsungen ist meisten unberechtigt. So Fälle kommen nur sehr selten vor. So einfach kann man einen anderen Menschen nicht zwangseinweißen lassen.


    P.S. Alter Falter, ist das mal wieder lang geworden. Mal sehen, ob das überhaupt irgendjemand liest .
    Geändert von Malibun (25.08.2014 um 17:30 Uhr)

  2. #2
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    Standard AW: Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie

    Ja, ich hab's gelesen! (Ab einem gewissen Punkt bin ich zwar eher in den "überfliegen Modus" übergegangen, aber ich denke, ich habe alles mitbekommen, was du aussagen willst).

    Was haltet ihr davon? Sind Zwangsmaßnahmen freiheitsberaubend, menschenunwürdige, traumatisierende Regelungen oder notwendige Maßnahmen?
    Für mich sind es ganz klar notwendige Maßnahmen. Eine Zwangseinweisung und Zwangsmedikation habe ich selbst noch nie erlebt, aber eine Patientin auf der Station wo ich gearbeitet habe wurde mal in Vollfixierung auf die geschlossene Station verlegt. Natürlich sieht das menschenunwürdig aus, wenn 2 Pfleger auf eine recht zierliche Person steigen um sie gegen ihren willen zu fixieren, aber wie du ja sagst, es geht darum andere und auch die Person vor sich selbst zu schützen. Meines Wissens nach erhalten Patienten in Fixierung auch häufig beruhigende Medikamente, aber ich bin mir gerade nicht ganz schlüssig ob das eine Zwangsmedikation ist. Einer traumatisierenden Wirkung einer Fixierung kann man meiner Meinung nach durch gute psychotherapeutische Nachbereitung der Situation vorbeugen. Wenn die Menschen verstehen, warum sie so behandelt wurden denke ich, dass man diese Erfahrung gut verarbeiten kann. Ich glaube, ich wäre gar nicht abgeneigt, mich mal selbst fixieren zu lassen um zu erfahren, wie sich das anfühlt. Die meisten Patienten die ich kenne wurden auch "nur" diagonal fixiert (also ein Arm und ein Bein).

    Das man eine Verfügung gegen diese Maßnahmen aussprechen kann finde ich ehrlich gesagt nicht so gut, denn niemand der noch nie psychotisch war oder akut psychotische Patienten erlebt hat kann einschätzen wie wichtig und hilfreich psychiatrische Behandlung (auch medikamentös) sein kann. So eine Behandlung mit z. B. Clozapin ist für mich eine der eindrücklichsten Erfahrungen aus meinem Jahr in der Psychiatrie. Wie oft hab ich Angehörige sagen gehört "Endlich ist er wieder der Alte!" und auch wenn ich ja Therapeutin bin/werde verteufle ich auf keinen Fall die medikamentöse Behandlung, denn manchmal bekommt man ohne die als Therapeut einfach keinen Fuß in die Tür. Natürlich bin ich dankbar um jeden Patienten der keine Medikamente braucht, aber diese generell als Hilfsmittel auszuschließen halte ich für schlecht.
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    und 2011
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