dieses Thema schwebt mir lange schon als Stoff für einen Thread im Kopf herum, aber da der gute Herr Sarrazin es gerade wieder einmal so öffentlichkeitswirksam aufs Trapez gebracht hat, nutze ich jetzt endlich mal die Gelegenheit ^^
vorweg gesagt: ich weiß nicht, ob hier irgendjemand das Buch von Sarrazin gelesen hat, ich jedenfalls nicht (auch wenn ich mir durchaus vorstellen könnte, das noch zu ändern); daher soll das hier bitte nicht (nur) eine hat-Sarrazin-Recht-oder-nicht-Diskussion werden .... sondern ganz allgemein eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob in diesem Land die Politik in Bezug auf Ausländer und ihre Integration (wem das Wort Ausländer nicht gefällt, der darf auch gern von Migranten oder, wenns denn sein muss, von Menschen mit Migrationshintergrund sprechen) auf einem guten Weg ist oder eher nicht; und welche Ansichten und Erfahrungen ihr selbst mit diesem Thema habt (sei es aus persönlicher Erfahrung oder aus den Medien; wobei wir dabei nicht unbedingt ProSieben und RTL2 zitieren sollten ) bzw was ihr meint, was sich in Bezug auf ‚Ausländer in Deutschland‘ ändern sollte
ich muss dazu sagen, dass in der Region, wo ich lebe und aufgewachsen bin, eher wenige Ausländer/Migranten/Menschen mit irgendeiner Art von Hintergrund leben (das Statistische Bundesamt spricht für die ganzen neuen Bundesländer im Jahr 2008 von 616.000; das ist demnach weniger, als es allein in Berlin gibt – in Thüringen betrug laut dem Statistischen Landesamt der Ausländeranteil im Jahr 2006 1,4 Prozent; das heißt, in einer durchschnittlichen thüringischen Schulklasse sitzt gerade mal ein Drittelausländer) .... interessanterweise deckt sich das, was das TLS schreibt, auch recht gut mit meinen persönlichen Eindrücken; denn wenn man auf den Straßen von Gera Ausländern begegnet, dann sind es entweder Vietnamesen (ich weiß nicht, ob das repräsentativ ist, aber die, die man so sieht, betreiben tatsächlich zumeist Obstläden, Nagelstudios oder die typischen Asia-Shops ) oder aber Russlanddeutsche (in meinem Abijahrgang gab es ca. drei oder vier Russinnen; man kam mit ihnen gut aus, aber untereinander sprachen sie trotzdem stets Russisch) .... naja, was ich damit sagen wollte, ist: ich persönlich habe mit Ausländern (oder Menschen ausländischer Abstammung)sicher weniger persönliche Erfahrungen gemacht als die meisten anderen, die das hier lesen und in Städten wie Berlin, München, Frankfurt, Köln aufgewachsen sind; und ich dabei in meiner Argumentation trotz allem eher auf das angewiesen bin, was die Medien (ja, ich weiß, dass diese durchaus ein verzerrtes Bild abliefern können, aber wie gesagt: ich rede nicht von RTL2 und anderem Unterschichtenfernsehen) und was nackte Statistiken uns präsentieren
vorgestern (also am 1.9.) fand bei Hart aber fair im Ersten eine Diskussionsrunde mit und über Sarrazin statt, die ich mir tatsächlich mal in voller Länge reingezogen habe (weiß nicht ob noch jemand?) .... noch interessanter fand ich aber eine weitere Sendung zum Thema, die später am Abend (nach den Tagesthemen) gezeigt wurde: da wurde eine türkische (!) Lehrerin an einer Lernschwachenförderschule in Gelsenkirchen, die nach Angaben der Sendung zu 70% von Migrantenkindern besucht wird (die oft an diese Schule verwiesen werden, weil sie nicht ausreichend Deutsch sprechen), durch ihren Alltag begleitet ..... und der Grundtenor der Sendung war halt, dass die Lehrerin sagte, dass ihr Job an dieser Schule hauptsächlich in Sozialarbeit bestünde, weil viele Kinder von ihren Eltern zu Hause nicht genügend Förderung und Sozialkompetenz mitbekommen hätten und oft nie einen Kindergarten besucht hätten .... und speziell bei den Mädchen hätten viele Eltern auch gar kein Interesse daran, dass ihr Kind einen Schulabschluss bekomme, weil sie ja eh mal keinen Beruf lerne, sondern ca. mit 20 heiraten und dann Kinder kriegen solle
naja, jedenfalls hab ich mir nun im Gefolge dieser Sendungen noch mal ein paar Gedanken zum Thema “Ausländer und ihre Integration” gemacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:
ich bin üüüüberhaupt nicht dagegen, dass Menschen, die nicht von hier stammen, unsere Kindergärten, unsere Schulen, unsere Universitäten bevölkern; im Gegenteil, ich finde, dass das so ziemlich das Beste ist, was ihnen und was der Gesellschaft passieren kann ..... aaaaaber: ich finde, dass es gewisse Regeln und Grundsätze gibt (und damit meine ich nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch gesellschaftliche Konventionen), die hier in Deutschland (oder auch einem beliebigen anderen westlichen Land) gelten, und an die sich eben Leute, die hier leben möchten, halten sollten, und sich nicht durch irgendwelche Verweise auf Toleranz und Multikulti rechtfertigen dürfen .... und dazu gehört eben:
• dass Mädchen das Recht haben, einen Beruf zu lernen oder das Abitur zu machen und zu studieren; und dass sie nicht mit um die 20 heiraten und Kinder kriegen sollen, weil das der Familienclan so wünscht
• dass es in der Schule Veranstaltungen gibt, an denen ein Schüler eben teilzunehmen hat, egal welche kulturellen Hintergründe der Eltern dagegen sprechen mögen und egal ob sie dahinter irgendwelche Verrohungen, Gotteslästerungen, Teufelsanbetungen oder sonstwas sehen mögen .... dass also Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, dass sie nicht dazu gezwungen werden dürfen, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen (erst recht nicht im Sportunterricht – die Doku mit der Lehrerin zeigte, dass sie zwar eigens einen Sportunterricht anbietet, bei dem die muslimischen Mädchen unter sich sind, aber selbst da gab es noch eine Schülerin, die ihr Kopftuch nicht abnehmen wollte), dass Schüler und Schülerinnen mit auf Klassenfahrt gehen dürfen und dass sie an Schulveranstaltungen wie Karneval, Weihnachtsfeiern, Theateraufführungen teilnehmen (zum letztgenannten Thema las ich neulich eine Reihe interessanter Artikel, darunter den hier – nicht dass noch einer denkt, ich würde hier nur Bashing gegen den Islam betreiben )
• dass in diesem Land eben die Gesellschaft und das, was in ihr erlaubt und was verboten ist, nicht von dem bestimmt wird, was in irgendwelchen religiösen Büchern steht, und zwar egal ob auf dem Buch ein Kreuz, ein Halbmond, ein Davidstern oder sämtliche Götter des Hinduismus drauf sind (hier verweise ich auf das Beispiel einer Schülerin aus dem Kosovo, deren Mutter von der türkischen Lehrerin bei einem Hausbesuch aufgesucht wurde; die Schülerin wollte für ihr Leben gern einen Tanzkurs besuchen, was aber die Mutter nicht erlaubte, da es gegen den Koran sei, dass Frauen tanzen und sich enge Kleidung anziehen, und sie auf die Frage der Lehrerin, was sie glaube, was für ihre Tochter wichtig sei, antwortete: “Koran!”)
• dass sich Ausländer, die in Deutschland leben, nicht untereinander in den Familien oder in speziellen Wohnvierteln abschotten, sondern dass sie gezielt den Kontakt zu Deutschen suchen, sei es in der Nachbarschaft, in Vereinen, über die Schule ihrer Kinder oder sonstwo
• außerdem finde ich, dass es für jeden Menschen, der dauerhaft in diesem Land lebt, eine Selbstverständlichkeit sein sollte, fließend Deutsch zu sprechen; und zwar einfach, weil es sich so gehören sollte, und nicht weil es so in irgendeinem Gesetz steht
um es noch mal so klar wie nur möglich zu formulieren: es geht mir nicht darum, dass ich irgendwem das Recht absprechen wollte, hier zu leben, nur weil er (oder seine Eltern) eine andere Herkunft hat (im Gegenteil, jeder, wo auch immer er herkommen mag, sollte das Recht und die Chance dazu haben, und es sollten ihm alle nur denkbaren Möglichkeiten gegeben werden, hier mit offenen Armen empfangen zu werden, und sich hier heimisch fühlen, hier arbeiten, sich bilden, in den Genuss unserer Gesundheitsversorgung kommen und ganz allgemein ein besseres Leben als in seiner Heimat führen zu dürfen) .... und es geht mir auch sicher nicht darum, jetzt die deutsche Leitkultur als das Alleinseligmachende darzustellen (ja, ich könnte tatsächlich Wandrers Nachtlied auswendig aufsagen ^^ aber ich bin überzeugt davon, damit selbst unter den allerreinblütigsten Deutschen zu einer verschwindend geringen Minderheit zu gehören, und ich verlang das auch von niemandem .... und ja, ich würde als kleinen Imbiss jederzeit eine Thüringer Rostbratwurst einem Döner vorziehen; aber ich mag auch gerne Pizza oder Pasta ) ..... worum es mir geht, ist einzig und allein, dass Toleranz gegenüber Minderheiten nicht beliebig sein darf, sondern dass wir in unserem Land das Recht haben sollten, bestimmte Erwartungen an die zu haben, die hier leben möchten; genau wie die Bewohner irgendeines beliebigen anderen Landes auch das Recht haben sollten, Erwartungen an mich zu knüpfen, wenn ich den Drang verspüren sollte, mich unter ihnen anzusiedeln .... und ich verwehre mich auf das Entschiedenste dagegen, dass ich oder irgendjemand sonst, der diese Meinung teilt (sofern es Menschen auf der Welt gibt, die irgendeine Meinung von mir teilen), in irgendeine rechte Ecke gestellt werden (der ich mich sicher nicht zugehörig fühle)!
also: Meinungen? Aussagen? Erfahrungen? Widersprüche? oder – ich wage es kaum zu hoffen – auch zaghafte Zustimmung?
PS: natürlich weiß ich, dass sich für jedes Negativbeispiel eines unzureichend integrierten Ausländers auch genügend Gegenbeispiele von wunderbar angepassten, voll integrierten Musterausländern finden ließe (und das ist ja auch sehr gut so!) ..... und natürlich ist mir auch bewusst, dass das Unterschichtenproblem nicht nur eins von Migranten ist, sondern Deutsche genauso betrifft (auch da könnte ich Beispiele nennen), genauso wie es religiösen Fanatismus mit Sicherheit auch unter Deutschen gibt .....aber ein gewisses Problem mit der Integration ist meiner Auffassung nach (und wenn eine Förderschule in Gelsenkirchen zu 70% von Migrantenkindern besucht wird – wie ist dieser Schnitt bei Gelsenkirchener Gymnasien? – muss ja integrantionsmäßig irgendwas schief laufen) durchaus vorhanden, und deshalb ist es aus meiner Sicht auch legitim, darüber zu diskutieren, wie klein oder groß das Problem auch sein mag