Eigentlich hat Solyent_Gelb schon 100%ig meine Meinung ausgedrückt, allerdings hab ich meinen Beitrag hier ja schon so groß angekündigt, daher werd ichs nun auch nochmal posten. Das meiste davon hab ich schon vor einigen Wochen geschrieben, also ist es stellenweise vielleicht nicht mehr ganz so aktuell, aber meine Meinung bleibt trotzdem so bestehen:
Ich könnte mir auch vorstellen, mal Hr.Sarrazins Buch zu lesen (allerdings könnte ich mir genauso gut vorstellen, mal "Mein Kampf" oder die Bibel zu lesen, nur damit ich dann fundierter sagen kann, warum ich mit diesen Büchern nicht über einstimme. (Bitte versteht das nicht falsch, dass ich diese drei Bücher in einem Satz nebeneinander gestellt habe, das sollte bestimmt kein Vergleich sein!).
Ich habe einen Teil von dieser "Hart aber Fair"-Sendung gesehen, habs dann aber irgendwann abgeschaltet, weil mir der Personenkult um Hr.Sarrazin mittlerweile anfängt auf die Nerven zu gehen. Man muss ihm zugestehen, dass er das was wahrscheinlich von Anfang an seine Motivation für das Äußern seiner Thesen war, erreicht hat: Er ist innerhalb von kurzer Zeit einer breiter Öffentlichkeit gegenüber bekannt geworden und er wird sein Buch bestimmt sehr gut verkaufen.
Dennoch einige Aspekte der Sendung waren durchaus sehr interessant. Zum einen war da die Äußerung von Michel Friedman, in der er den Unterschied zwischen Assimilation und Integration erklärt hat. Was man von Migranten erwarten kann ist, dass sie sich an bestehende Gesetze halten und, dass sie versuchen sich - ihren Möglichkeiten entsprechend (was ich damit meine, werde ich später noch erkären) - so gut wie möglich zu integrieren. Was man nicht erwarten kann/darf ist Assimilation, d.h. die totale Aufgabe der eigenen Kultur und Religion.
Der zweite interessante Aspekt war, die Beispielrechnung die gezeigt hat, dass zumindest eine der Statistiken in Sarrazins Buch wissenschaftlich unfundierter Quatsch ist (und ich könnte mir vorstellen, dass das bei den anderen Statistiken in dem Buch auch nicht anders aussieht). "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" heißt es so schön, und mittlerweile weiß ich, dass dieser Spruch sehr wahr ist. In meinem Psychologiestudium hatte ich auch die Fächer Statistik und Forschungsmethoden, und dort habe ich gelernt, dass es fast unmöglich ist eine 100%ig korrekte Statistik aufzustellen, aber dafür unglaublich einfach ist für jede These die man hat (egal ob diese richtig oder falsch ist), eine entsprechende Statistik zu produzieren. Wir haben z.B. mal in einem Seminar ein Referat über eine Studie halten sollen, die "bewiesen" hat, dass Schwarze dümmer seien als Weisse. Wenn man nicht wirklich ein Experte auf dem Gebiet Quantitative Methoden ist, liest man die Studie, schaut sich die Statistiken an, liest die Erklärungen der Wissenschaftler dazu, und denkt sich "bor, die haben ja echt recht." Mithilfe von erklärenden Zusatztexten, einigen vorangegangenen Statistikvorlesungen, und unseren Profs, konnten wir dann aber aufzeigen, was für ein extremer Pfusch hinter diesen Statistiken und deren Erklärungen stand und dass die These natürlich nicht stimmte.
Lange Rede, kurzer Sinn: Was ich damit sagen möchte ist, dass ich seit meinen Studienerfahrungen (und diese Schwarz-Weiss-Studie ist nur ein Beispiel von sehr vielen) Statistiken nicht mehr vertraue, sondern lieber auf Erfahrung und selbst Erlebtem setze.
Zum Thema Migranten ist meine Erfahrung folgende:
Wie wahrscheinlich einige von euch wissen bin ich halbe Ausländerin (mal am Rande: Ich finde die Beschreibung "Mensch mit Migrationshintergrund" genauso furchtbar wie Steffen) und komme aus Frankfurt, der Stadt mit den - prozentual gemessen - meisten Ausländern in ganz Deutschland (ja, auch noch vor Berlin). Mein Freundes- und Bekanntenkreis besteht zu ca. 30%-40% aus entweder Ausländer oder Kindern von Ausländern. Alle meine Freunde und Bekannte sprechen Deutsch und haben - abgesehen von ein paar Außnahmen, die zufälligerweise (fast) alles reine Deutsche sind - alle ihr Abitur oder gehen noch zur Schule (Gymnasium). Keiner meiner Freunde und Bekannten trägt ein Kopftuch (eine hat es eine Weile gemacht, hatte dann aber keine Lust mehr und hats einfach ausgezogen), und keiner ist zwangsverheiratet oder mit 20 schon Mutter.
Zu deiner Frage Steffen: Ich weiß nicht wie die Verteilung an Gelsenkirchener Gymnasien aussieht, aber an meinem Gymnasium waren es auch etwa 70% Ausländer. Bei meiner Schwester - die mittlerweile auch auf meine alte Schule geht - ist in der Klasse ein einziger reiner Deutsche. Ich war übrigens mal bei einem Elternabend der Klasse meiner Schwester und von den vielen anwesenden Eltern, konnten alle Deutsch (die meisten hatten zwar einen Aktzent, aber das macht ja wohl nichts) und es waren alle sehr interessiert am Wohlergehen und an den Schulleistungen ihrer Kinder (das gilt für die Jungs genauso wie für die Mädchen).
Sicherlich gibt es auch Ausländer, die nicht so gut integriert sind, aber meiner Erfahrung nach, ist das ein sehr kleiner Anteil. Diejenige, die behaupten, dass die Mehrheit der Migranten nicht integriert ist, sind meistens Menschen, die aus kleineren Orten kommen, in denen es kaum Ausländer gibt, und die ihre Meinung, oft lediglich aus den Medien haben (und die Medien sind dafür bekannt lieber über eine Sonderschule mit 70% Ausländeranteil als über ein Gymnasium mit 70% Ausländeranteil, und lieber über ein Ehrenmord, als über die vielen fließend deutsch sprechenden gut integrierten Ausländer zu berichten).
Aber um auf die wenigen nicht gut Integrierten zurück zu kommen: Das Problem löst man nicht, in dem man sagt "die wollen sich nicht integrieren, die wollen kein deutsch sprechen, die haben keine Bildung - was wollen die eigentlich hier?!". Man sollte sich eher mal die Ursachen genauer angucken: Viele Migranten aus Ländern wie z.B. der Türkei sind bereits in ihrem Heimatland der Unterschicht angehörig (ist auch irgendwie logisch, bei denjenigen den es (finanziell) bereits gut geht, besteht nicht die dringende Notwendigkeit (z.B. durch Auswandern) irgendetwas an ihrem Leben zu verändern. Außerdem wurden gerade in den 50ern und 60ern genau diese Personengruppen angeworben - man wollte billige Arbeitskräfte und keine Physikprofessoren). Nun kommen diese Leute nach Deutschland und sind da natürlich weiterhin in der Unterschicht - sie brauchen also günstigen Wohnraum, und dieser ist meist in bestimmten Stadtteilen zu finden, wodurch dann eine gewisse Ghettoisierung entsteht (die übrigens in den 50ern und 60ern sogar gezielt von der deutschen Regierung gefördert wurde - man dachte ja noch, dass die "Gastarbeiter" nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimatländer rückkehren würden). Zum Anderen ist Integration keine Einbahnstraße - wer Ablehnung erfährt, wird auch ablehnend reagieren. Ein Mensch mit türkischen Migrationshintergrund muss sich in vielen Regionen Deutschlands nun mal noch täglich mit Vorurteilen und Anfeindungen auseinander setzen. Deswegen darauf zu schließen, dass die Mehrheit der Deutschen Nazis seien, ist genauso falsch, wie die Mehrheit der Türken/Afrikaner/Araber als integrationsunwillige Kriminelle darzustellen.
Nochmal zu Sarrazin selbst: Dieser Mann spricht davon, dass gewisse Ethnien einfach genetisch dumm seien und dies auch immer bleiben würden. Das Feld der Rassengenetik ist eins, das während des dritten Reichs sehr beliebt war. Ob man nun behauptet "der Jude" sei von Geburt an geldgierig und hinterhältig oder "der Türke" von Geburt an assozial und dumm, macht nicht wirklich einen Unterschied. Eigentlich war ich immer davon ausgegangen, dass diese Art von Denke mittlerweile aus den Köpfen der Deutschen verschwunden wäre, doch wenn ich sehe, dass 18% der Deutschen eine Sarrazinpartei wählen würden, ist dem wohl nicht der Fall. Seine "biologischen" Thesen haben nichts mit "Tabubruch" oder "freie Meinungsäußerung" zu tun, sondern sind schlicht und ergreifend Volksverhetzung (jeder Otto-Normal-Skinhead würde für solche Äußerung vor Gericht landen).
Hier noch ein interessanter Link zu dem Thema: http://www.demokratie-statt-integration.kritnet.org/
@sk8er_girl
wo bitte schön wird eine "hetzjagd" gegen ihn betrieben?! jemand der sich volksverhetzend äußert, handelt weder gesetzes- noch verfassungstreu, und hat daher weder in der spd noch in der bundesbank was zu suchen.
man kann auch nicht einfach seine biologischen thesen ausklammern, und so tun als hätte er diese nicht gesagt. sie gehören zu seinem buch genauso dazu wie alles andere. man kann ja auch nicht sagen "nun klammern wir den antisemitismus im dritten reich aus, und schauen uns einfach nur an, was hitler so gutes gemacht hat".
wenn du über migration diskutieren willst, ist das ja schön und gut, aber wozu braucht es dazu sarrazin?! es gibt genügend andere, die es geschafft haben sich zum thema integration zu äußern ohne dabei volksverhetzend zu werden.